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Der Oberbürgermeister zeigt sein erstaunliches Talent, alle Klischees über Düsseldorf zu bestätigen

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App der Süddeutschen Zeitung:

Die Seite Drei, 11.06.2014

Nordrhein-Westfalen

Du wirst bekloppt
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Von Bernd Dörries

Martin Becker hat eine dieser riesigen Motorsägen in der Hand, die man aus dem Sportfernsehen kennt, weil dort spät in der Nacht große Männer in Kanada noch größere Bäumen zersägen. In deutschen Innenstädten sah man diese Sägen bisher selten. Am Dienstagmorgen hat Becker seine Säge aus dem Keller geholt und damit angefangen aufzuräumen vor seinem Haus in Düsseldorf-Derendorf. “Die Feuerwehr habe ich erst gar nicht gerufen, da geht eh keiner mehr ran”, sagt Becker. Also hat er die Straße freigesägt, einen großen Baum kleingemacht. Einfach, um sein Auto freizubekommen. Neben ihm steht ein VW Polo, dem ein Baum das Dach in den Fußraum gedrückt hat.

Dahinter wird in der “Destille” das erste Alt des Tages getrunken. Das Leben muss ja weitergehen.

Aber in Düsseldorf geht erst einmal gar nichts mehr. Seit einigen Wochen schon befindet sich die Stadt im OB-Wahlkampf, und die Kandidaten haben sich bei all den kleinen Meinungsverschiedenheiten letztlich gegenseitig darin überboten, wie toll die Stadt ist. Wie gut die Infrastruktur, wie super der öffentliche Nahverkehr, wie sauber, wie sicher. Tatsächlich strahlt die kunstsinnige, lebendige, reiche, schöne und sogar schuldenfreie Stadt nur deshalb nicht mit anderen Städten in Deutschland um die Wette, da es keine andere Stadt gibt, der es so gut geht.

Nun ist diese Stadt gewissermaßen über Nacht erst einmal eingeknickt. Vor einem Sturm, der eine Stunde durch Düsseldorf und Teile des Ruhrgebiets fegte. Eingeknickt wie ein Baum. Von 90 Kilometer die Stunde an wird es kritisch für die Bäume im Sommer, wenn sie viele Blätter tragen. Der Sturm am Montagabend blies mit mehr als 140 Kilometern durch die Straßen, er war der stärkste seit Kyrill 2007.

Am Morgen danach ist Düsseldorf nicht mehr sauber und sicher, es liegen überall Bäume herum und Autos, die der Sturm aus dem Verkehr gezogen hat. So schnell kann es gehen. Eben noch war die Stadt mit sich so im Reinen, dass der Oberbürgermeister an den Ortsausgängen plakatieren ließ: “Sie verlassen den schuldenfreien Sektor.” Jetzt kann man kaum noch rein in diesen Sektor der Verwüstung. Drei Menschen sterben in einem Gartenhaus, in dem sie Zuflucht gesucht hatten und auf das ein Baum stürzte. Auf den Autobahnen stauen sich die Autos auf mehreren Hundert Kilometern in ganz Nordrhein-Westfalen. Es fahren keine Züge mehr zwischen Dortmund und Köln und kaum Straßenbahnen. Sechs Menschen sind ums Leben gekommen in der Nacht auf Dienstag. Die Feuerwehren haben schon lange aufgehört zu zählen, zu wie vielen Tausend Einsätzen sie schon ausgerückt sind. Man sieht überall Bäume, aber keinen Wald mehr, weil der am Boden liegt. Es liegt ein Brummen über der Region. Das der Polizeihubschrauber und der Motorsägen. Die Behörden raten den Menschen, Düsseldorf großräumig zu meiden und nach Möglichkeit nicht aus dem Haus zu gehen oder gar den Zug zu benutzen. Das gab es hier seit dem Krieg nicht mehr. Eine Art Ausgangssperre.

Es ist interessant zu sehen, wie die Menschen damit umgehen. In Köln machen sie es so wie immer, wenn das Leben etwas schwieriger wird: Sie trinken ein Kölsch. Am Dienstagvormittag herrscht nicht einmal Chaos im Kölner Hauptbahnhof, denn im Chaos ist auch immer noch Bewegung. Aber in Köln ist der Stillstand nun wirklich zur Vollendung gekommen. Leere Züge stehen auf den Gleisen, auf den Treppen vor dem Hauptbahnhof sitzen Hunderte Menschen auf ihren Koffern. Die ersten machen ein Bier auf. Das Unwetter hat hier eher etwas Heiteres hinterlassen, einen Tag sturmfrei, bei blauem Himmel. Die Natur tut so, als sei nichts gewesen. Die Schäden sind gering in Köln, das Fest zum Gedenken an die Opfer des NSU in der Keupstraße musste abgebrochen werden. Als Zehntausende BAP hörten, öffnete sich der Himmel.

Am Dienstagmorgen kann man die Stadt hin und wieder noch mit dem Zug Richtung Süden verlassen, der Norden aber, der ist dicht. Es gibt nirgendwo in Deutschland so viele Autobahnen und Pendler wie in Nordrhein-Westfalen. Die Menschen hier können ganze Abende bei Alt oder Kölsch oder Pils darüber philosophieren, wie man am besten von Köln nach Dortmund kommt oder von Aachen nach Düsseldorf. Es ist ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten, weil zwar immer Stau ist, es aber immer noch irgendwo eine Straße gibt, an die die anderen gerade nicht gedacht haben. Am Dienstag haben die meisten Radiosender ihr Programm derart umgebaut, dass es ein bisschen Musik gibt und dazwischen das Neueste von der Staufront. In Pakistan explodieren die Bomben. In Brüssel sucht man einen Kommissionspräsidenten. All das ist viel weiter weg an diesem Tag als die 35 Kilometer Stau am Kreuz Ratingen.

Vor dem Standesamt schauen die Brautpaare etwas verlegen, es ist nicht der beste Tag zum Heiraten
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Nordrhein-Westfalen ist das Land mit den meisten Einwohnern in Deutschland. Es ist die größte Metropolregion in Europa, eine Region, in der man oft nicht genau weiß, wo die eine Stadt aufhört und die andere anfängt. Das Herz der Republik haben sie Nordrhein-Westfalen oft genannt. Weil hier das Herz des ganzen Landes zum Schlagen gebracht wurde und auch immer noch wird mit all der Kohle und dem Stahl. Am Dienstag aber ist wohl das passiert, was man einen vorübergehenden Herzstillstand nennen könnte. Es mag aus Eisen sein, ist aber doch leicht aus dem Takt zu bringen, mit all seinen Autobahnen, die wie Arterien sind, die verstopfen. Als ob jemand auf Pause gedrückt hätte.

In Essen machen die Restaurants und Dönerbuden gar nicht erst auf, weil sie nichts zu verkaufen haben. In der Gartenstadt Meerbusch schauen Leute auf ehemalige, sehr alte Alleen, die über Nacht zu normalen Straßen wurden. Und in Düsseldorf stehen die Brautpaare vor dem Standesamt mit einem Gläschen Sekt in der Hand und schauen auf den Boden. So als hätten sie ein schlechtes Gewissen, an so einem Tag zu heiraten. Oder als sei es vielleicht ein schlechtes Omen. Im Park daneben trennen die Motorsägen die großen Bäume von der Wurzel. Die Stadt wird anders aussehen nach dem großen Sturm.

“Pff, war doch kein Krieg, oder”, zischt Dirk Elbers durch die Zähne. Er machte früher lange in Immobilen, ist etwa zwei Meter groß, trägt immer einen tadellosen Anzug mit Einstecktuch und die rotblonden Haare nach hinten geföhnt. Er sieht genauso aus, wie man sich außerhalb Düsseldorfs Düsseldorfer vorstellt. Das ist mittlerweile auch in Düsseldorf ein ziemliches Problem, wo Elbers (CDU) seit 2008 Oberbürgermeister ist.

Der Oberbürgermeister zeigt sein erstaunliches Talent, alle Klischees über Düsseldorf zu bestätigen
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Er hat ein erstaunliches Talent, das Schicki-Micki-Klischee der Stadt überzuerfüllen. Er spricht von sich häufig in der dritten Person, er musste 10 000 Euro bezahlen, weil er sich von einem Unternehmen Champagner schenken ließ, er fliegt dienstlich First Class. Er ist ein Düsseldorf, das es schon lange nicht mehr gibt, das es so vielleicht nie gegeben hat. Bei der Wahl vor zwei Wochen hat Elbers ziemlich viele Stimmen verloren, weshalb er nun in eine Stichwahl am Sonntag muss. Die Umfragen sahen sehr schlecht aus für ihn, er lag hinter dem Gegenkandidaten Thomas Geisel von der SPD. Der Sturm könnte seine Rettung sein, so wie damals die Oderflut 2002 Gerhard Schröder wohl die Wahl gerettet hat. Der lief damals in Gummistiefeln über die Deiche. Elbers steht am Dienstagnachmittag mit Krücken und Anzug vor einem umgestürzten Baum in der Düsseldorfer Innenstadt und mosert vor sich hin. Natürlich werde die Wahl stattfinden, man befinde sich ja nicht im Krieg, sagt er.

Sein Gegenkandidat hat vorerst alle Wahlkampftermine abgesagt, Elbers macht weiter, als sei nichts passiert. Am Nachmittag unterschreibt er ein paar Verträge im Rathaus, um 16 Uhr werden verdiente Hockeyspieler geehrt, dazwischen schaut er mal kurz im Krisenzentrum der Feuerwehr vorbei. “Es herrscht kein Stillstand, die Rechtspflege geht weiter”, sagt Elbers. Hinter ihm steht eine Straßenbahn, die von einem Baum getroffen wurde, Motorsägen heulen. Elbers sagt letztlich: Gehen Sie weiter. Es gibt hier nichts zu sehen.

Der Sturm hätte seine große Chance sein können, die Wahl zu drehen, zu zeigen, dass er mehr ist als ein abgehobener Rechtspfleger. Er hat sich entschieden, das Gegenteil zu tun. Vor einem Jahr hatte Elbers einen heftigen Streit mit den Berufsfeuerwehren seiner Stadt, deren Überstunden er nicht anerkennen wollte. Einige Feuerwehrleute wollte er rauswerfen, nachdem sie sich beschwert hatten. Jetzt sind es die Feuerwehren, die seine Wahl noch retten können. Sie bringen die Stadt wieder in Ordnung. Sie machen ihren Job.

Solidarität ist ein wichtiger Begriff in Nordrhein-Westfalen. Er gehört im Ruhrgebiet zur Folklore, weil man sich in der Grube aufeinander verlassen musste, wenn es um Leben und Tod ging. Man kann am Dienstag gut beobachten, dass es diese Solidarität noch gibt. Taxifahrer stellen die Uhr ab, wenn es nicht mehr weitergeht, obwohl dies wohl für die meisten der beste Tag ihrer Karriere ist. Auf den Kreuzungen stehen viele ehrenamtliche Helfer, die den Verkehr regeln oder Wasserflaschen verteilen. Auf den Straßen finden Fremde zusammen, weil sie in dieselbe Richtung müssen. An der Ruhr, vor allem aber am Rhein sind die Leute seit eh und je direkt und reden eher mal ein Wort zu viel mit dem anderen als zu wenig. Das nervt manchmal ein wenig, aber jetzt gerade zahlen sich die alte rheinische Geselligkeit und die Kunst der Improvisation aus: Die Düsseldorfer haben immer gerne einfach mal gemacht, statt wie die Berliner die Hand aufzuhalten – auch deshalb gibt die Stadt am Rhein der Kunst- und Pop- und Undergroundszene seit Kriegsende immer wieder entscheidende Impulse.

Es wird interessant sein, wie weit diese Solidarität geht, wenn es um die Kosten geht, um die kaputten Gleise und Straßen. Wer dann die Zeche zahlt. Düsseldorf hat es am härtesten erwischt in der Nacht zum Dienstag. Die Bereitschaft, auch finanziell zu helfen, mag sich bei den Nachbarn aber in Grenzen halten. Vor einigen Monaten hat der unglückselige Oberbürgermeister Elbers dagegen geklagt, dass seine Stadt die ärmeren Nachbarn im Ruhrgebiet finanziell immer unterstützen muss. Vor einigen Wochen hat er gesagt, dort, im Pott, möchte er nicht “tot über dem Zaun hängen”. Am Dienstag nun kommen die freiwilligen Feuerwehren aus den Nachbarstädten, um den Düsseldorfern zu helfen. Vielleicht macht das den Oberbürgermeister demütiger. Vermutlich nicht.

Auch auf der Kö haben die Bäume große Äste verloren. Aber das Shopping geht dann eben weiter wie das Leben auch. Pinot Grigio wird ausgeschenkt, kleine Frauen in großen Geländewagen rasen vorbei. Dies noch mal zur Erfüllung aller Klischees. Der Rest der Stadt hat am Dienstag gezeigt, dass er verletzbar ist und solidarisch. Das mag ein Trost sein. Eine Entwarnung ist es nicht. Elbers wird vielleicht Oberbürgermeister bleiben. Und die Meteorologen kündigen weitere Stürme an.

Bernd Dörries


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