Die 70er Jahre – und heute?
Revolution – Evolution
Independent music – Underground
Was geschah da in den späten 70er Jahren in Deutschland? Dieses Deutschland hatte sich in der Zeit unter Hitler (und vorher schon einmal in der Kaiserzeit) nicht nur kulturell von der übrigen Welt abgeschlossen und seine Bürger in einem nationalen Wahn von der übrigen Welt ausgeschlossen. Es sollte lange dauern, bis sich das Land und seine Bürger sowohl den Nationalismus wie auch die Abtrennung von der übrigen Welt überwunden hatte.
In der Jugendkultur stellen wir etwas fest, was als radikaler Bruch erscheinen mag und jetzt im Nachhinein von Vielen auch gerne so gesehen wird. Man hatte entdeckt, dass man seine Musik selber vermarkten, selber Platten pressen lassen konnte und dank der Erfindung von Kopiergeräten nicht auf teuren Satz und Druck angewiesen war, sondern mit Schere, Klebstoff und Schreibmaschine eigene Zeitschriften, die sog. Fanzines, herstellen konnte.
Das war keine deutsche Erfindung. In den USA und dann im Vereinigten Königreich war diese Entwicklung schon weit gediehen. Die ersten Bands in Deutschland, die sich dieser neuen Möglichkeiten bedienten, war dieser Zusammenhang kaum bewusst und Begriffe wie ‚independent’ oder ‚Underground’ kamen erst im Laufe der Zeit auf. Es war vor allem die britische Punk-Bewegung, die hier wirkte. Ähnlich wie der Rock ‚n’ Roll in den 50er Jahren – „Kannst Du drei Akkorde, gründe eine Band“ – schossen jugendliche Bands aus dem Boden. Die Musik war einfach. Aber es war eigene Musik. Es hatte also mehr als 30 Jahre gedauert, bis die Geißel der Hitler-Zeit nicht nur in intellektuellen Kreisen sondern im unschuldigen Handeln Jugendlicher überwunden werden sollte. Es war ein rasantes Erleben. So manche Fessel wurde verlacht. Nicht zuletzt konnte man der allmächtigen Musikindustrie den Stinkefinger zeigen.
Man spricht von einem Marktanteil von 25%-30%, den die Independentbewegung den sog. Major-Labels abknapsen konnte. Das und die Eigenständigkeit der Musik waren ein großer Spaß. Die Briten nannten diese deutsche Variante Krautrock. Wenn das vielleicht nicht sehr nett gemeint war, so manifestiert sich hier dennoch eine gewisse Eigenständigkeit.
Ja, es war eine kleine Revolution, die im Übrigen vom soliden Bürger abgelehnt und sogar gefürchtet wurde. Wie das nun mal bei Revolutionen ist, fraß sie auch hier ihre eigenen Kinder. Es bildeten sich im Independentbereich Strukturen heraus, die allzu sehr an jene der gehassten Major-Labels erinnern. Die Kids wollten auch Ruhm einheimsen und wenigstens ein bisschen Geld sehen. Es entstanden Independent-Vertriebe, sie selbst nannten sich ironisch ‚Geldschweine’, Organisationen, die sich mit anfänglichem Erfolg damit beschäftigten, die Platten in den angestammten Plattenhandel zu bringen.
Jetzt erst wachte die Musikindustrie auf und kaufte nahezu Alles, was irgendwie Independent oder Underground war. Aus dem Material, was sie dort vorfanden, gestalteten sie Bands und Musik, die massenkompatibler als die Ursprünge war. Die Neue Deutsche Welle schwappte über das Land und fraß die Independentbewegung auf. Die kleinen Independentlabels und die Independentvertriebe mussten aufgeben. Es war eine kurze Zeit des Aufbegehrens und des ungezügelten Spaßes, aber sie war nicht ohne Langzeitwirkung.
Es war eine Zäsur. Die Kids übernahmen die Verantwortung für das, was sie anstellten. Dabei half das abschreckende Beispiel der Hippiebewegung der 70er Jahre. Dort waren immer die Anderen schuld und man war den ‚Großen’ und ‚Mächtigen’ ausgeliefert. Naja, auch das hat sich tradiert. Schwamm drüber. Das Bewusstsein, dass man selber etwas machen, der Welt einen kleinen Stups geben kann, ist geblieben, auch wenn das im heute vorherrschenden Konsumrausch kaum feststellbar ist. Und heute in Zeiten des Internets, ist es sogar viel einfacher. Die Produktionsmittel sind nicht nur erschwinglich sondern sogar geradezu billig geworden. Jeder kann, wenn er will. Und es ist attraktiv und mit viel Lust verbunden, selber etwas in die Welt zu setzen. Das ist keineswegs auf Musik beschränkt sondern umfasst auch Literarisches, Gestalterisches im weiten Sinne und was es da sonst noch alles geben oder ge- und erfunden werden mag.
Hört nicht auf die Sklaven überkommener Regeln, die etwas von Qualität (Beispiel Qualitätsjournalismus) reden, die Erfolg nach ihren Regeln messen und alles Andere, anders als das Gewohnte, negieren möchten. Die können sich mit den Produkten der Unterhaltungsindustrie zufrieden geben und wohlig konsumierend sterben oder mit ‚höherem’ Anspruch von Vernissage zu Vernissage eilen. Wir aber entdecken, was in uns steckt und sehen die Welt mit neuen Augen ganz ohne Überbau sondern ganz ursprünglich in uns wachsend.