Die schon etwas ältere Generation hat das, was sich Ende der 70er Jahre im Ratinger Hof tat, nicht oder erst sehr spät bemerkt. Was mich betrifft, kannte ich den Ratinger Hof noch als Refugium für einen Pennplatz suchende Hippies, die sich an einem Bier festhielten und auf verschlissenen Sofas zwischen unter Lichtmangel leidenden Palmen dahindösten. Das war kein Ort, an den es mich zog.
Als ich dann 1979 die neue deutsche Musik und all das, was sich da tat, bemerkte, stand ich dann doch wieder im Ratinger Hof. Ich stand da recht hilflos, fand die Leute eher langweilig und schaute und schaute und entdeckte nichts, was irgendwie neu oder besonders oder aufregend war. Die bunten Neonröhren und das Kahle der mit Spiegeln sortierten und mit Tags bemalten Wände alleine waren es nicht.
Das sollte sich schnell ändern, nämlich an dem Tag, an dem ich ein paar Leuten sagte, dass ich einen Film drehen will und eine Kamera brauchte. Ich wurde sofort weitergereicht und es dauerte keine 10 Minuten, um jemanden gefunden zu haben, der mir am nächsten Tag eine tolle Leica-Kamera lieh. Am gleichen Tag lieh ich mir noch ein Aufnahmegerät für den Ton und am nächsten Tag konnte man Che Seibert, padeluun und mich in der Flinger Passage sehen, wie wir den Film ‚Geh’ drehten.
Und der Ratinger Hof hatte für mich sein Gesicht radikal gewandelt. Diese langweiligen Leute dort trugen Namen, die man kannte und die man schätze. Das waren fast ausnahmslos Leute, die was machten. Sobald ich selbst was machte, war ich anerkannt und Teil einer aufregenden Party. Es war der ‚Hof’, in dem man sich traf, Neuigkeiten austauschte, Projekte anriss, um von dort in irgendwelche Keller und obskure private Räumlichkeiten zu verschwinden und Neues, Aufregendes zu machen. Zwischen arrivierten und weniger arrivierten Künstlern der nahe liegenden Kunstakademie wuselten die kleinen Punks durch den Raum. Es gab keinen Generationenkonflikt noch ein Naserümpfen zwischen recht unterschiedlichen Bildungsniveaus. Jetzt im Nachhinein stelle ich fest, dass der Hof ein Ort selbstverständlicher Toleranz war. Das hätte damals niemand formuliert. Warum auch? Es handelte sich eben nicht um eine theoretische Forderung räsonierender Hippies.
Hier sind jetzt ein paar Bilder, die ich erläutere oder auch nicht erläutere, aus jener Zeit des Ratinger Hofs, einer Zeit, die für die Protagonisten der Bewegung schon einen faden Geschmack hatte. Doch ich war nur integrierter Beobachter und gehörte nicht zu den Machern dieser Szene. Wie auch mit fast 40 Jahren auf dem Buckel? Ich fand das noch aufregend genug. Hier trafen sich Punks, Elektroniker und bildende Kunst und dann bald auch Werber. Laute Volksreden hielt nur Immendorf, der sich bemühte, junge hübsche Mädels um sich zu versammeln. Schirner, ‚Werbung ist Kunst’, scharte nicht ganz so geschlechtsspezifisch junge Leute um sich. Mein Augenmerk galt jedoch nicht diesen wenigen Aufmerksamkeitshaschern sondern dem, was sich da in der Gruppe der der Pubertät Entfliehenden tat, was sich hier vor allem musikalisch äußerte, karge Worte fand und das ‚Machen’ personifizierte.
Der Befreiungsschlag, der den Namen ‚Beuys’, auch ein Kind seiner Zeit, trug, spielte dort sicher mit rein.
Die Leute sahen fast ganz ‚normal’ aus. Punkfrisuren, Irokesen, eine bestimmte Sorte schwarzer Lederjacken, Badges, Stachelarmbänder, Ketten etc. kamen erst spät auf. Daran glaubten zwar die Kids, doch das war eher die Vermarktung einer nicht mehr zu leugnenden Bewegung und bezeichnend für eine Endphase, welche durch die Umarmung durch die Medien beschleunigt wurde und bald zum Ende führte. Spätestens 1982 war Alles vorbei. Geschichte war geschrieben.
Pogo
Pogo war so ein Hahnenkampftanz mit heftigem Rempeln, bei dem sich Punks schon mal am Boden wieder fanden, während die Meute weiter tobte. Doch da passierte kaum mal was Ernsthaftes, weil den Gestrauchelten sofort wieder auf die Beine geholfen wurde. Für manchen Fotografen konnte das durchaus bedrohlich sein, spielte sich das Getobe doch dort ab, wo auch der Fotograf zu stehen hatte. Vorne, unmittelbar vor der Bühne. Da stachen Ellenbogen zu, Stiefel trafen auf Waden, eine Rotte Rempelnder brachte den Fotografen, der seine Hände ja nicht frei hatte sondern mit der Kamera beschäftigt war, diese schützen und dann doch noch Fotos machen musste, fast zum Umsinken. Ich trug Schuhe mit Stahlkappen und brachte ansonsten soviel Masse mit, dass mich so eine halbe Portion Punk nicht erschüttern konnte. Die Meisten waren ja Hänflinge. Außerdem war das keine ernsthafte Aggression sondern ein juveniles Kräftemessen, Austoben, Spaß und der körperliche Ausdruck von Lebensfreude.
Ingrid
Man schrieb das Jahr 1980, als Carmen Knoebel, die Seele der Institution, sich aus dem Ratinger Hof zurückzog und Ingrid, langjährige Mitarbeiterin im ‚Hof’, die Regie übernahm. Das war einschneidend. Wie sich bald zeigen sollte, markierte das einen Bruch. Die Protagonisten der ersten Stunden hatten seit einiger Zeit nur ein müdes Lächeln für das Treiben im Hof und der ‚Szene’ übrig. Epigonen übernahmen das Geschehen. Der ‚Hof’ war zwar noch das ‚Wohnzimmer’ der Szene, aber der Aufbruch in Neuland wandelte sich in Gewohntheit. Die Musik und die Lebenshaltung hatten sich zwar immer noch in einem nahezu exklusiven Kreis etabliert. Die ersten Anzeichen einer Mode waren zu spüren.
An einem Abend wurde der Bruch drastisch deutlich. ‚Charge’, eine britische Gruppe, sollte auftreten. Sie standen mit ihrem Transporter vor der Tür und packten ihre Sachen aus, als Ingrid das Konzert absagte. Sie wollte die Punx nicht mehr im Hof sehen. Ihr war das zu dumm und zu laut.
Die Reaktion der auf die Ratinger Straße verwiesenen Kids war heftig. Es hagelte Verwünschungen in Richtung Ingrid. Das nicht nur akustisch sondern auch in Form von schriftlichen Meinungsäußerungen.
Doch noch war der ‚Hof’ nicht tot. Er war nur anders. Es traten nicht mehr die Cracks der heimischen Szene auf. Die heimischen Neurer hatten ausgespielt. Jetzt kamen Gruppen vor allem aus England aber auch aus den USA, die bereits einen gewissen Namen hatten. Wenn sich jetzt etwas Erregendes im ‚Hof’ abspielte, war das trotz Ingrid. Beliebt war sie nicht.
Dem Ratinger Hof gegenüber befindet sich die Rückseite des Amts- und Landsgerichts Düsseldorf. Ein prima Platz um sich gemütlich anzulehnen oder sich auf eine Sockel oder eine Fensterbank zu setzen. Rumhängen, Bekannte treffen, warten, bis sich im ‚Hof’ was tut. Das erste Bier am Nachmittag schmeckt mit dem Gericht im Rücken auch ganz gut. Alles Ruhe, alles prima in der gewohnten Langeweile.
Wären da nicht die Grünröcke. Die provozieren alleine durch ihre stoische Anwesenheit. Und irgendwann wird einer von den braven Punks mitgenommen zur Wache. Dort gab es ein (verbotenes) Schwarzes Buch. Immer wieder sah man Rotten von Punks, wie sie sich zum Polizeirevier aufmachten. Dort wollten sie die Einträge in dem Schwarzen Buch sehen und bestanden darauf, dort eingetragen zu werden. Es sei einfach ehrenrührig, dort nicht erfasst zu sein.
In einem Haus an der Ratinger Straße hatte die Polizei die obere Etage gemietet, die Fenster mit Pappen verkleidet, in die jeweils ein Loch gemacht wurde, durch welches Fotos vom Geschehen auf der Ratinger Straße gemacht wurden. Auffälliger und lächerlicher ging’s nimmer. Das war nicht mal eine Lachnummer.